«In unseren Mitarbeitenden steckt all unser Wissen und Können»
Seit Jahrzehnten produziert die Scintilla AG in St. Niklaus Sägeblätter und Co. Mit grossem Erfolg. Jeden Tag werden rund eine Million Produkte hergestellt, verpackt und in alle Welt verschickt. Geschäftsleitungsmitglied Raymond Brantschen gewährt einen Blick hinter die Kulissen und sagt, was das Erfolgsrezept des Unternehmens ausmacht und wie es seine Position als Marktleader längerfristig sichern kann.
Wir befinden uns mitten in der Nachkriegszeit der 1940er-Jahre. Das in Solothurn angesiedelte Unternehmen Scintilla hat eben erst die Stichsäge erfunden und damit für Schlagzeilen gesorgt. Nun ist es auf der Suche nach einem billigen Produktionsstandort mit genügend Arbeitskräften, die bei der Herstellung von Sägeblättern anpacken können. Fündig wird man im Nikolaital. In St. Niklaus startet im Jahr 1947 mit Unterstützung des Bundes der Betrieb der ersten Fertigungsanlage – im leerstehenden Grand Hotel. Altes Filmmaterial dokumentiert den Lebensalltag, mit Bildern von einem bäuerlich geprägten, einfachen Leben im alpinen Seitental und im Gegensatz dazu die ersten lärmenden Produktionsanlagen, die den Startschuss zur Entwicklung von St. Niklaus zu einem Wirtschaftsstandort mit globaler Ausstrahlung setzen.
Bis heute sind die Arbeitskräfte im Zaniglaser Werk der Erfolgsgarant Nummer 1 für das Unternehmen geblieben. «In unseren Mitarbeitenden steckt all unser Wissen und Können», sagt Raymond Brantschen im Gespräch. Brantschen ist verantwortlich für den Bereich Technische Funktionen und stellvertretender Geschäftsleiter bei der Scintilla AG. «Sie sind in ihren Bereichen sehr gut ausgebildet, motiviert und flexibel.» Auch die Fluktuation am Standort ist vergleichsweise niedrig. «Viele unserer Mitarbeitenden sind in der Region stark verwurzelt und schätzen die Nähe zu ihrem Zuhause.» Die Scintilla AG profitiere dabei zudem von den Hochschulen im Kanton, welche dem Personal nach erfolgter Grundausbildung verschiedene Zusatzausbildung und Weiterbildungen in Kombination mit einer Weiterarbeit im Betrieb ermöglichen.
Stabil gute Qualität bei hohem Durchsatz als Erfolgsgarant
Aktuell beschäftigt Scintilla im Wallis rund 800 Personen, davon 24 Lernende in den unterschiedlichsten Bereichen vom Polymechaniker bis hin zur Lageristin. Nachdem man während der Coronakrise und dem damit verbundenen Heimwerker-Hype vorübergehend annähernd 900 Leute beschäftigen konnte, hat sich die Mitarbeiterzahl in der Zwischenzeit wieder auf hohem Niveau eingependelt. Täglich werden rund eine Million Zubehörteile für Elektrowerkzeuge produziert. Gut 7000 Produkte zählen zum Sortiment. «Wir bieten eine hohe Fertigungstiefe. Bis hin zum Endprodukt wird alles vor Ort produziert», betont Brantschen. Tag für Tag verlässt ein Lastwagen das Vispertal in Richtung Welt – vollgeladen mit Zaniglaser Erzeugnissen. «Wir sind mit unseren Produkten Weltmarktführer. Mit Europa und Amerika verfügen wir über zwei Hauptmärkte. Beide machen je rund 40 Prozent unseres Umsatzes aus. Ebenfalls eine Rolle, wenn auch ein kleinere, spielen Asien und Ozeanien.»
Die Chance ist also durchaus gross, dass ein australischer Heimwerker beim Zuschneiden von Brettern für seinen neuen Hühnerstall in «Down under» Walliser Qualität in den Händen hält. Qualität, die in allen Ecken dieser Welt hält, was sie verspricht und den Erfolg von Scintilla ausmacht. Qualität, deren Sicherstellung aber auch einiges an Know-how voraussetzt. «Es ist nicht so, dass man eine Maschine hat, ein Stück Stahl hineinwirft und dann hinten ein Sägeblatt herausfällt», erklärt Brantschen lachend. «In Tat und Wahrheit ist es schon einiges komplexer.» Um stabil mit gleichbleibend guter Qualität bei entsprechendem Durchsatz produzieren zu können, sind laut Brantschen verschiedene Puzzleteile, die ständig weiterentwickelt und aufeinander angestimmt werden müssen, nötig.
Maschinenprofis sorgen für Vorsprung
Ein solches Puzzleteil ist der Sondermaschinenbau, «der uns deutlich von anderen Produzenten in der Branche abhebt», sagt Brantschen. «Wir können Anlagen selbst vor Ort aufbauen, in Betrieb nehmen, warten und weiterentwickeln. Dadurch erhalten wir eine riesige Flexibilität und sind nicht abhängig von Externen. Das Wissen bleibt im Haus.» Um diesen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz zu sichern, brauche es aber auch gute Leute. Deshalb sei die Lehrlingsausbildung am Standort auch so wichtig. Überdies ist es laut Brantschen entscheidend, dass die Produktentwicklung gemeinsam mit der Prozessentwicklung erfolgt. «Es bringt nichts, das beste Produkt zu haben, wenn man es nicht prozesssicher produzieren kann. Das ist nur möglich, wenn man einen guten Sondermaschinenbau hat.» Nur so könne man scheinbar Unmögliches ausprobieren und innovativ sein.
Ein weiteres wichtiges Puzzleteil ist das hauseigene Prüflabor. Dort werden nicht nur Eingangskontrollen von Stahl bis hin zum Verpackungsmaterial durchgeführt, sondern auch während und am Ende des Produktionsprozesses Qualitätstest durchgeführt. Oder komplett neue Produkte auf Herz und Nieren geprüft. Solche Tests können vielfältig sein. Brantschen: «Im Testlabor sägen Roboter oder Mitarbeitende von Hand und bearbeiten verschiedene Material, um die Wirkung bestimmter Zubehörteile zu analysieren.» Im Innovationsbereich arbeiten verschiedene Stellen zusammen und tauschen sich aus: die Produktentwicklung am Hauptsitz in Solothurn sowie der Musterbau, das Testlabor und die Prozessentwicklung, welche ebenfalls neue Entwicklungen auf dem Markt beobachtet, in St. Niklaus. «Die Nähe dieser Stellen zur Fertigung macht die Wege kurz», ist Brantschen überzeugt.
Digitale Zwillinge verbessern Produktionsprozesse
Um am Markt langfristig attraktiv zu bleiben, müssen die Produkte immer wieder optimiert werden, beispielsweise durch Anpassungen ihrer Geometrie. «Zwar bleibt der grosse Anteil der Palette beständig. Es kommen aber laufend neue Teile dazu, während andere aus dem Sortiment fallen», erklärt Brantschen. Der Trend gehe aktuell in Richtung Hartmetall. «Blätter werden zusehends damit verstärkt. Dadurch wird die Lebensdauer verlängert und es ergeben sich beim Endkunden ganz neue Anwendungsmöglichkeiten.» Ein Beispiel für ein neues Produkt ist das «Mulitmaterial-HM-Segmentsägeblatt», das vor gut drei Jahren in die Produktion aufgenommen wurde, ein OMT-Starlock-Zubehörteil für Multifunktionsgeräte. Auch hier wird Hartmetall aufgeschweisst – «eine Erweiterung, die wir als einzige auf dem Markt anbieten können». Laut Brantschen war die Entwicklung komplex, sie dauerte rund zwei Jahre.
«Auch künftig wird es für uns wichtig sein, ständig mit der Technologieentwicklung mitzugehen, um sie in unsere Produkte und Prozesse einfliessen lassen zu können», so Brantschen. Auf die Frage, ob er die künftigen Möglichkeiten durch die Digitalisierung und künstliche Intelligenz als Chance oder als Herausforderung wahrnimmt, antwortet er lachend: «Chance und Herausforderung, würde ich sagen. Die Digitalisierung wird neue Berufe bringen, neue Anforderungen ans Produkt oder die Maschinen stellen und gleichzeitig helfen, die Kosten zu reduzieren. Da muss man mitgehen, sonst ist man plötzlich wirklich in einem Seitental.» Gerade Themen wie Automatisierung und Industrie 4.0 seien dabei für die Scintilla entscheidend. «Digitale Zwillinge werden es künftig erlauben, Prozesse immer besser zu verstehen und sie weiter zu optimieren.»
Quelle : WLOG